Ein ungewöhnlicher Reisebericht von Jörg Liemann
Berlin ist voller verrückter Ideen und Typen, aber wer umwandert die Stadt? Jörg Liemann hat es getan, auf 234 Kilometern plus Exkursen, und er lässt uns daran teilhaben. „Ich wollte einfach sehen, wie es überall da am Rand aussieht“, sagt er, „und ich wollte – als Kind Berlins, das täglich auf die Mauer sah – testen, ob es nun tatsächlich möglich ist, nach der langen, langen Zeit, in der man Berlin nicht umrunden konnte, schon gar nicht Berlin als Ganzes. Das hatte auch eine politische Dimension, aber vor allem wollte ich es spüren: dieses Berlin kann und will umwandert werden!“
Zunächst geht es schlicht darum festzustellen: Was ist dort draußen? Doch schon bald trifft er sich mit einem Kartenmacher, der Spandauer Bürgermeister begleitet ihn ein Stück des Wegs, Jörg Liemann schaut vorbei beim Förster von Großbeeren, beim Schriftsteller Rolf Schneider, der noch immer genau auf der Grenze wohnt, er spaziert mit der Kastellanin über die Pfaueninsel und springt sogleich hinüber zur Bundeswehr.
Als Jörg Liemann 1964 in Berlin-Spandau geboren wurde, stand die Mauer schon zweieinhalb Jahre. Er war 25 Jahre alt, als sie fiel, eben war er zurückgekommen von einem einjährigen Arbeitseinsatz in Bonn an der Vertretung des Landes Berlin beim Bund. Ganz bewusst zog er bald in den „Osten“ der Stadt, genauer: an einen Grenzpunkt im Zentrum. Er lernt, lehrt, lebt und liebt in Berlin, arbeitet für den Berliner Senat als Experte für Luftsicherheit und Schifffahrt und behandelt in seinen Romanen – obgleich er viele Städte der Welt kennt und wertschätzt – gern Berlin.
Ergänzt und aufgelockert wird das Buch durch 240 Fotos (sw), drei Detailkarten und 45 Miniatur-Orientierungskarten.
- Taschenbuch: 564 Seiten
- Fotos: 240 sw sowie Orientierungskarten
- Verlag: epubli, Januar 2018
- Sprache: Deutsch
- ISBN-10: 3745091083
- ISBN-13: 978- 3745091083
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Inhalt
Umgehend
Beim Kartenmacher
Startschuss mit dem Bürgermeister
Die Teilung Staakens
Kurs auf den Eiskeller
Hennigsdorf
Frohnau
Hohen Neuendorf und die Bienen
Von der Bieselheide nach Hermsdorf
Tegeler Fließ
Hobrechtswald
Röntgental und Buch
Wartenberg und Falkenberg
Bundespolizei Blumberg
Ahrensfelder Berge und Weiherkette
Hönow
Birkenstein und Galopp
Mahlsdorf Süd und Friedrichshagen
Krummendammer Heide
Rolf Schneider, Schriftsteller
Fichtenau und der Woltersdorfer Dünenzug
Erkner
Gosener Wiesen
Südpol: Schmöckwitzer Werder
Zeuthen und die Atomphysik
Eichwalde
Bohnsdorf
Der Base Captain
Schönefeld
Rudow und Buckow
Lichtenrade und Marienfelde
Lichterfelde und Osdorf
Teltowkanal-Aue und Alt-Teltow
Schönow und Düppel
Der Förster von Großbeeren
Dreilinden, Teerofen, Kohlhasen
Steinstücken
Das Plattner-Institut
Keine Truman Show
Babelsberg und Böttcherberg
Volkspark Klein-Glienicke
Pfaueninsel
Bundeswehr
Kladow, Großglienicke, Gatow
Das Finale: Die Hahneberge
Vorwort
Umgehend — der Buchtitel stand so früh fest, dass ich ihn mittlerweile für unwiderruflich halte. Dabei ist das Wort hier auf den ersten Blick widersinnig. Etwas umgehend zu tun bedeutet, es schleunigst anzugehen, flugs, frischweg, behände, postwendend, eilends, ohne Verzögerung. Aber diese implizierte Forderung gilt allenfalls für den Start: Gehe los, halte dich nicht weiter auf, breche augenblicklich auf und umrunde Berlin zu Fuß!
Verzögern hingegen will ich meinen Weg durchaus hin und wieder. Ich möchte stehenbleiben, innehalten, genau hinschauen, nachfragen, vom Weg abkommen, gezielt nach Berlin hinein oder nach Brandenburg hinauslaufen, Exkursionen unternehmen – weil Umwege die Orientierung verbessern.
Eine weitere Bedeutung von umgehen ist das Meiden. Will ich Berlin auf meiner Tour meiden? Eigentlich will ich meine Stadt, aus der ich komme und in der ich lebe und arbeite, durch die Umwanderung intensiver kennenlernen. Aber richtig ist natürlich, dass ich damit das Stadtgebiet meide, ich umgehe die hippen Innenstadtviertel und die touristischen Attraktionen. Sogar die Trennlinie zwischen Ost- und West-Berlin meide ich.
Jemand geht um… Kein Gespenst, kein Gerücht, sondern ein Mensch. Er geht mit einem Gedanken um, er beschäftigt sich mit einer Metropole. Neugierig geht er mit ihr um, der laufende Beobachter und seine Stadt haben schon ein halbes Jahrhundert Umgang miteinander. Die Tour bildet mehr oder weniger ein kreisförmiges Gebilde, einen umgehenden Bogen. Und was nicht vergessen werden sollte: Da Berlin wie eine Insel mitten im Bundesland Brandenburg liegt, gehe ich auch im Brandenburger Land herum. In all diesen Sinnen bin ich ein Umgehender.
234 Kilometer lang ist die Außengrenze Berlins. Hinzu kommen meine kleinen Wegesabweichungen und Hindernisumgehungen, die Erkundungen jenseits der Stadtgrenze. Die Gegenden, die ich dabei berühren, betreten, betrachten will, nenne ich weniger, um die Orientierung zu perfektionieren, sondern vielmehr, um sich an den Klang der Tour zu gewöhnen. Folgende neun Bezirke Berlins werden mir begegnen: Spandau, Reinickendorf, Pankow, Lichtenberg, Marzahn-Hellersdorf, Treptow-Köpenick, Neukölln, Tempelhof-Schöneberg und Steglitz-Zehlendorf. Auf Brandenburger Seite werden es neun Landkreise sein: Havelland, Oberhavel, Barnim, Märkisch Oderland, Oder-Spree, Dahme-Spreewald, Teltow-Fläming, Potsdam-Mittelmark und Potsdam Stadt.
Als Grenzgänger werde ich zuweilen Schwierigkeiten haben, meinen Weg zu finden. Manchenorts sind die Markierungen nämlich verblasst oder verloren gegangen. Wo war, wo ist hier die Grenze? In einigen Fällen ist das – wie im sonstigen Leben – gar nicht so genau zu definieren.
Zu den geografischen Verschwommenheiten, die ich akzeptieren muss, gesellen sich zeitliche Verwerfungen, die ich zu verantworten habe und die aufmerksamen Leserinnen und Lesern auffallen werden. So kann es vorkommen, dass die Jahreszeiten während der Tour ungewöhnlich rasch wechseln. Was eigentlich rein organisatorische Ursachen hat, entfaltet im Text einen zuweilen märchenhaften Charakter und sollte – wie in Märchen – ebenso hingenommen werden wie andere temporale Widersprüche: Während die Wanderungen mit einer halbjährigen Zwangspause von Mai 2012 bis Januar 2014 stattfinden, kommentiere ich zuweilen neunmalklug aus späterer Zeit, belasse es hingegen an den meisten anderen Stellen beim alten Stand, um den ursprünglichen Charakter nicht zu verfälschen. Grenzgänger sollten nicht verübeln, ihnen steht eine gewisse Leichtfüßigkeit gut an.
Zum Tod von Susanne Fontaine
Erst im April 2018 erfuhr ich vom Tod meiner Interviewpartnerin Susanne Fontaine. Medienberichten zufolge wurde sie im September 2017 auf dem Weg durch den Berliner Tiergarten überfallen und getötet. Die Meldung hat mich sprachlos gemacht. Susanne Fontaine war Kastellanin und zeigte mir im Rahmen meiner Recherche für das Buch umgehend die Schätze der Pfaueninsel. Ich werde sie als eine fachkundige und überaus inspirierende Frau in Erinnerung behalten.
Jörg Liemann